Dr. med. Ludwig Noll ...

... und wie der Verein zu seinem Namen kam.

 

 

Dr. med. Ludwig Noll, geboren am 18. Juli 1872 in Sterbfritz (Südhessen), gestorben am 21. Juni 1930 in Kassel, war ein Arzt, der in Kassel gelebt und gearbeitet hat. Er gehörte zum Freundes- und Mitarbeiterkreis Rudolf Steiners, des Begründers der anthroposophischen Bewegung. Mit Steiner verband ihn das Interesse an einer Verbindung wissenschaftlicher und spiritueller Sichtweisen sowie an der Einbettung moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in ein umfassendes, geisteswissenschaftlich geprägtes Verständnis der Natur, wie es Johann Wolfgang von Goethe in seinen Schriften zu naturwissenschaftlichen Fragen entworfen hat. Noll hat an der Entwicklung von Naturheilmitteln und von Methoden zur Trennung medizinisch wirksamer von unwirksamen Bestandteilen von Heilpflanzen mitgearbeitet und dadurch sehr konkret zur anthroposophischen Heilkunde beigetragen.

 

Wie kommt ein psychosozialer Hilfsverein wie der unsere zu diesem Namensgeber?

1965 wurde der Verein „Ludwig-Noll-Krankenhaus e.V.“ gegründet – und zwar mit dem Ziel, in den damals leerstehenden Gebäuden der ehemaligen Psychiatrischen Anstalt „Neue Mühle“ an der Dennhäuser Straße ein anthroposophisch orientiertes Allgemeinkrankenhaus zu betreiben. Es wurden Belegabteilungen für Innere Medizin und Neurologie/Psychiatrie geschaffen, in denen anthroposophisch und naturheilkundlich arbeitende niedergelassene Ärzte ihre Patienten auch stationär behandeln konnten. Das neue Krankenhaus hatte seinen Schwerpunkt in der Behandlung von Alterserkrankungen. Bereits Anfang der siebziger Jahre kam es aber zu einer Bettenbedarfsplanung für Kassel, derzufolge das Krankenhaus spätestens ab 1985 wieder ganz in den Dienst der psychiatrischen Versorgung gestellt werden musste. Durch eine interne Umstrukturierung des Hauses und die Berufung eines Psychiaters (Dr. Kipp) zum Leitenden Arzt wurde die Umwandlung in eine Psychiatrische Klinik 1978 in Angriff genommen. 1984 wurde die internistische Abteilung (zuletzt 34 Betten) aufgelöst, so dass die Klinik als ausschließlich psychiatrisches Krankenhaus mit 94 Betten weitergeführt wurde. Sie übernahm nunmehr auch die Pflichtversorgungsaufgabe für einen Teil des Kasseler Stadtgebiets . Eine Informationsschrift von 1984 weist darauf hin, dass die Entwicklung mit einer Entfernung von der anfänglichen Zielsetzung verbunden war: „Der Verein ....sieht seine Aufgabe heute vorwiegend darin, eine gemeindenahe und humane Form psychiatrischer Versorgungsangebote für Kassel zu sichern und zu erweitern.“

Der nächste Schritt folgte bereits zwei Jahre später. Zum 1. Januar 1986 gab der Verein die Trägerschaft des Krankenhauses an die damaligen Städtischen Kliniken (heute Klinikum Kassel) ab. Das machte den Verein keineswegs überflüssig. Immerhin hatten wir inzwischen die ersten ambulanten Hilfsangebote für psychisch kranke Menschen etabliert: die Nollis und die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle. Das Betreute Wohnen lief gerade an, es gab eine Vorbereitungsgruppe für die erste Betreute Wohngemeinschaft. Der Verein wurde also weiterhin gebraucht. Nur der Name „Ludwig-Noll-Krankenhaus e.V.“ machte keinen Sinn mehr.

Am 14. Mai 1986 kam es zu einer spannenden Mitgliederversammlung. Im Hinblick auf die veränderten Vereinsaufgaben wurde ein neuer Vorstand gewählt (T. Budig-Bartels, Dr. med. J. Kipp, Dr.med. H.-P. Unger). Dieser schlug vor, im Rahmen der ohnehin notwendigen Anpassung der Satzung an die neue Situation den Verein in „Ludwig-Noll-Verein für psychosoziale Hilfe e.V.“ umzubenennen. Dem widersprachen einige Mitglieder, die sich der ursprünglichen anthroposophischen Tradition verbunden fühlten. Sie forderten, den Namensbestandteil „Ludwig-Noll“ wegzulassen, da die neuen Vereinsaktivitäten ja mit Nolls Denken, Leben und Wirken in keinem Zusammenhang mehr stünden. Demgegenüber argumentierte der Vorstand, dass der Name Ludwig Nolls inzwischen de facto zu einem Markenzeichen einer besseren, hilfreicheren Psychiatrie in Kassel geworden sei und deshalb beibehalten werden sollte.

Die Argumentation des Vorstandes hatte viel mit der Geschichte der Gebäude zu tun, in denen das Ludwig-Noll-Krankenhaus angesiedelt ist. Die „Neue Mühle“ war schon im 19. Jahrhundert und erneut vor dem Zweiten Weltkrieg zur Unterbringung psychisch kranker Kasseler Bürger genutzt worden. Im Gedächtnis der Kasseler Öffentlichkeit war sie einer der verrufensten Orte der Stadt. Nur mit Schrecken und Mitleid dachten ältere Kasseler Bürger an die Menschen, die in die „Neue Mühle“ gebracht worden waren. Je mehr der Name „Ludwig-Noll-Krankenhaus“ sich gegenüber dem alten Namen durchgesetzt hatte, desto leichter wurde es für die Kasseler Bürgerschaft, psychiatrische Hilfsangebote heute als etwas Positives und Wertvolles wahrzunehmen.

„Es wäre fatal“, so Dr. Kipp auf der MV, wenn das Krankenhaus den Namen Ludwig-Noll-Krankenhaus aufgeben würde.“ Auch der Verein brauche den Namen Ludwig Nolls weiterhin – als Ausdruck dafür, dass er zusammen mit dem Krankenhaus an der Verbesserung und Weiterentwicklung der gemeindepsychiatrischen Versorgung in Kassel arbeitet, und als Kennzeichen dafür, dass es sich nicht um einen neuen Verein handelt, sondern um denselben, dessen Arbeit schon den guten Ruf des psychiatrischen Krankenhauses gleichen Namens begründet hat.

Die Mehrheit der Versammlung schloß sich nach einer langen und teilweise erregten Debatte dem Antrag des Vorstands zur Namensänderung an. Also heißen wir bis heute „Ludwig-Noll-Verein für psychosoziale Hilfe e.V.“. Und wir denken mit Dankbarkeit daran, dass Ludwig Noll lange nach seinem Tode noch etwas geleistet hat, wovon er sich zu seinen Lebzeiten sicher nichts träumen ließ: Er hat geholfen, das öffentliche Bild der Psychiatrie von den Schatten zu befreien, die die „Neue Mühle“ hinterlassen hatte.

Ulrich Wichmann-Jentzen

   
© LNV